J. Werner Theunert

Rechtsanwalt

aktuelles zum Schwerbehindertenrecht:


Angemessene Entschädigung in Geld für Nichtberücksichtigung eines schwerbehinderten Bewerbers auf eine Stellenanzeige

Im Berufungsverfahren entschied das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Aktenzeichen 5 Sa 277/05, mit Urteil vom 08.11.2005, dass dem schwerbehinderten Bewerber, der von der Arbeitgeberin nicht zum Bewerbungsgespräch geladen worden war, eine angemessene Entschädigung in Geld zusteht. Allein die Benachteiligung beim Auswahl- bzw. Einstellungsverfahren eröffnet gem. § 81 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX diesen Anspruch, selbst dann, wenn
der schwerbehinderte Bewerber selbst bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

Nach den allgemeinen Darlegungs- und Beweislastregeln muss der schwerbehinderte Bewerber, der eine Entschädigungszahlung wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot geltend macht, darlegen, dass er beim Auswahl- bzw. Einstellungsverfahren wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden ist. Nach der Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichtes liegt eine unmittelbare Diskriminierung dann vor, wenn eine Person wegen ihrer Schwerbehinderteneigenschaft eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in der vergleichbaren Situation erfahren hat oder erfahren
würde (BAG, Urteil vom 15.01.2005, Aktenzeichen 9 AZR635/03). Der klagende Bewerber kann eine Beweislast des Arbeitgebers dadurch herbeiführen, dass er Hilfstatsachen darlegt und ggf. unter Beweis stellt, die eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft vermuten lassen. Im Regelfall begründet dies die Vermutung, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft zumindest ein von mehreren Motiven, d. h. Beweggründen, für die ablehnende Entscheidung des Arbeitgebers war. Anderenfalls nämlich könnte der Arbeitgeber im Nachhinein andere als die Schwerbehinderteneigenschaft betreffende Gründe für die Nichtberücksichtigung des schwerbehinderten Bewerbers anführen und damit den mit den §§ 81, 82 SGB IX verfolgten und durch den § 81 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX sanktionsbewährten Schutz der schwerbehinderten Menschen unterlaufen. Das Gericht muss daher lediglich die Überzeugung  gewinnen von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen Schwerbehinderteneigenschaft und dem Nachteil.

Der Arbeitgeber kann sich von dem Diskriminierungsverbot mithin nur dann erfolgreich entlasten, wenn er nachweist, dass das verbotene  Diskriminierungsmerkmal, d.h. die Schwerbehinderteneigenschaft des Bewerbers, auch als noch so untergeordneter Aspekt in einem Motivbündel überhaupt keine Rolle bei seiner Entscheidung gespielt hat. Eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch kann daher gegenüber einem schwerbehinderten Bewerber nur dann verbleiben, wenn ihm die fachliche Eignung offensichtlich (= unzweifelhaft) fehlt. In dem entschiedenen Fall aber lag diese unzweifelhafte fachliche Unqualifizierung nicht vor. Das Bewerbungsschreiben des schwerbehinderten Bewerbers musste mit allen anderen Bewerbungen unter Berücksichtigung des Anforderungsprofils verglichen werden. Dabei konnte der Anspruch auf ein Bewerbungsgespräch nur dadurch ausgeräumt werden, dass dem Kläger gleichsam auf die Stirn geschrieben sein müsste, dass er unter keinem Gesichtspunkt für die ausgeschriebene Stelle in Betracht kommt. Denn Zweifel an der Qualifikation hätten gegebenenfalls im Bewerbungsgespräch ausgeräumt werden können. Das Bewerbungs- bzw. Vorstellungsgespräch soll gerade das aus den Bewerbungsunterlagen gewonnene Bild abrunden bzw. letzte Zweifel an Eignung, Befähigung und Leistung des Kandidaten ausräumen.

Die Höhe der Entschädigungsleistung war vorliegend begrenzt auf drei Monatsverdienste gem. § 81 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 SGB IX. Innerhalb dieses Rahmens wurde dann die Entschädigungsleistung begrenzt auf die Höhe eines voraussichtlichen Bruttogehalts. Dafür waren folgende Gesamtumstände zu berücksichtigen: 1) Der Kläger war weder zum Zeitpunkte der Bewerbung noch im Zeitpunkte des Urteils arbeitslos, 2) Die Einstellung des Klägers auf Grund der teilweise besser qualifizierten übrigen Bewerber, die zum Vorstellungsgespräch geladen wurden, war auch aus der Sicht des Gerichts eher unwahrscheinlich. Somit kam das Gericht zu der Ansicht, dass ein Entschädigungsanspruch zwar vorliege, die Pflichtverletzung der Beklagten aber nicht so gravierend war, sodass die Höhe auf ein Bruttomonatsgehalt begrenzt war.

Stand: 19.10.2006

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